Banner
Symbolbild Ansbach. Foto: Pascal Höfig
Symbolbild Ansbach. Foto: Pascal Höfig

Goodbye China

Von einer 8-Millionen-Metropole im Reich der Mitte ins beschauliche Ansbach in Mittelfranken: Kulturschock oder willkommene Abwechslung? 

Die Einrichtungsgegenstände lassen sich an zwei Händen abzählen: ein Bett, daneben ein kleiner Nachttisch. An der Wand hängen ein paar Zeichnungen, die meisten zeigen Tiere und Obst. In der Ecke gegenüber stehen Schrank, Stuhl und Schreibtisch. Darauf ein Laptop und ein paar Bücher aus der Bibliothek.

Die Person, zu der die spärliche Einrichtung gehört, ist Cheng Yan. Oder Yan Cheng, wie er sagen würde, denn in seinem Heimatland wird üblicherweise der Familienname zuerst genannt. Seit einem Semester wohnt Cheng im Studentenwohnheim. Viel aus seinem alten Leben mitgenommen hat er nicht. Das Zimmer, in dem er lernt, isst und schläft, war bereits möbliert. Den Rest kaufte er sich in Ansbach, der Stadt, in der er mindestens die nächsten zwei Jahre verbringen wird.

Ursprünglich kommt der 21-­Jährige aus Xuancheng in der Provinz Anhui. „Schüentschang“, erklärt er die Aussprache. Eine Großstadt im Osten Chinas, nicht weit von seiner Schulstadt Shanghai und von seiner alten Universitätsstadt Qingdao entfernt.

Rectangle
topmobile2

Dort studierte der junge Chinese zwei Jahre Business Administration. „Die Universität von Qingdao pflegt eine Partnerschaft mit der Hochschule Ansbach. Ich wusste früh, dass ich gerne in Deutschland weiterstudieren wollte“, erzählt er. Damit schlägt er den gleichen Weg ein wie viele seiner Kommilitonen. Der Konkurrenzdruck in China ist hoch; Auslandserfahrungen fast schon ein Muss, um einen gut bezahlten Akademikerjob zu finden. Die meisten jungen Chinesinnen und Chinesen zieht es in westliche Staaten wie die USA, England – und Deutschland. „Deutschland genießt bei uns einen exzellenten Ruf“, begründet Cheng die Tatsache, dass seine Landsleute in Massen an deutsche Unis strömen. Schließlich stellt China mit über 27.500 Studenten die größte ausländische Gruppe an deutschen Hochschulen dar. Vor allem technische Universitäten wittern Potenzial und rekrutieren eine große Anzahl ihrer Studenten aus dem fernen China. Besonders beliebt sind die Studiengänge Maschinenbau und Elektrotechnik; dicht dahinter folgen Wirtschaftswissenschaften, Ingenieurwesen und, wie bei Cheng der Fall, BWL.

Doch um in Deutschland studieren zu können, musste Cheng erst einmal die Sprache lernen. „Fast täglich, je zwei Stunden. Anfangs hatten wir eine chinesische Lehrerin, später brachte uns ein deutscher Professor die Sprache bei. Es war hart, vor allem die Grammatik ist ganz ungewohnt gewesen“, meint Cheng.

Seine Muttersprache: Mandarin, mit etwa 845 Millionen Sprechern die am häufigsten genutzte Muttersprache weltweit – und kaum vergleichbar mit der deutschen Sprache. Umso erstaunlicher ist es, ihn sprechen zu hören: Zwar macht er immer wieder Fehler und der Ak­zent ist deutlich zu hören, doch er kann ganz normale Gespräche führen und sich gewählt ausdrücken. Und das, obwohl er keine zwei Jahre Deutschunterricht an seiner Universität gehabt hatte, bevor er nach Ansbach kam.

Den Deutsch­-Test „TestDaF“, der ihn zum Studium hierzulande berechtigt, meistert er gut. Anfang September 2014 steigt er schließ­lich in den Flieger. 11 Stunden Flug und sieben Zeitzonen später landet er in Frankfurt am Main. Es ist das erste Mal, dass er in Deutschland – seinem neuen Zuhause – ist. Der Abschied von seiner Familie war nicht allzu schwer gefallen. „Ich bin ja ein Mann“, konstatiert er mit einem Grinsen. Seine Eltern hat er seit der Abreise nicht mehr gesehen. Geschwister hat Cheng keine – ein Resultat der strengen Ein­-Kind-­Politik in der Volksrepublik China.

Ein von der Hochschule organisierter Bus holt ihn und einige andere Austauschstudenten vom Flughafen ab. Es ist Nacht, als der Bus in Ansbach ankommt. „Jeder ging gleich auf sein Zimmer, um zu schlafen“, erzählt Cheng. „In der Früh haben wir uns dann erst ein­ mal Essen gekauft.“

Eine erste Kostprobe vom neuen Leben im fremden Land – und vom Mittelfränkischen. Anfangs sei es etwas gewöhnungsbedürftig gewesen mit dem Dialekt, aber „die Leute hier sind freundlich und hilfsbereit, wenn man nach dem Weg fragt“.

Bislang hatten sich er und die an­ deren chinesischen Studenten nur vom Hörensagen ein Bild von Deutschland gemacht. Was verbindet ein Chinese mit unserem Land? „Große Firmen wie Siemens, Bosch, Zwilling. Kinder­schokolade und RitterSport. Paulaner, das wird zum Beispiel auf unseren ‚Oktoberfesten‘ getrun­ken, von denen wir auch einige haben. Und natürlich deutsche Autos!“, erzählt Cheng Yan. Kein Wunder, stammt doch jeder fünfte PKW auf chinesischen Straßen von einer deutschen Marke.

Die angeblich typischen Charak­tereigenschaften kommen einem durchaus bekannt vor: Fleißig sei der Deutsche, immer pünktlich und ordentlich, aber dafür auch ein eher ernster, spaßbefreiter Typ. Die deutsche Ernsthaftigkeit – ein Markenzeichen der Deutschen im Ausland?

Rectangle2
topmobile3

Party hard

Zumindest letzteres Klischee bestätigt sich für Cheng nicht. Hier in Ansbach hat er nämlich eine neue Leidenschaft entdeckt: das Feiern mit seiner Clique. Kaum eine Party lässt der BWL­-Student aus. „Das gibt es bei uns gar nicht. Die deutschen Studenten machen jede Woche Party. Das nutze ich natürlich aus“, so Cheng. Schließlich sei er inzwischen ein richtiger „Partylö­we“ geworden – nicht gerade eine typisch chinesische Eigenschaft. „Die Musik wäre vielen Chinesen zu laut. Laut wird es bei uns eher im Restaurant. Aber nicht wegen Musik, sondern, weil wir uns so gerne miteinander unterhalten.“

Das Essen wird regelrecht zelebriert. Auf den Tisch kommen zum Beispiel gebackene Wan-­Tan oder Schweinefleisch süß­sauer. Auch Rind, Lamm, Hühnchen und Ente werden gern gegessen. Und Hund? „Nein! Ich selbst kenne wirklich niemanden, der Hund isst“, erklärt Cheng fast schon entschuldigend. In Südchina, in der Provinz Guangdong, da seien Hund und Katze zwar eine Spezialität. Im Rest des Landes seien die Vierbeiner auf dem Teller allerdings verpönt. Und auch in der Frage, ob Nudeln oder Reis ser­viert werden, spaltet sich China: Im Norden, da wo er herkommt, sind Nudeln beliebter, im Süden Reis. „Wir haben da so etwas Ähnliches wie ihr. Wie nennt ihr das?“ Er meint den Weißwurstäquator. Das chinesische Pendant dazu ist demnach der Nudel­/Reisäquator.

Früher sorgte die Mutter für lecke­re Gerichte. Seit Cheng in Ansbach wohnt, kocht er meistens selbst oder isst in der Mensa. Deutsches Essen schmeckt ihm ganz gut. In einem China­-Restaurant war er bislang noch nicht. Da gebe es sowieso viele Dinge, die er so gar nicht kennt. Peking­-Ente mit Erd­nusssauce findet er beispielsweise befremdlich. „Die Sauce kommt bei mir auf eine Scheibe Brot, als Butterersatz. Das schmeckt gut.“ Meistens isst er aber Müsli zum Frühstück, bevor er sich auf den Weg in eine Vorlesung macht. Dann heißt es für ihn und seine Landsfrauen und -männer: doppelte Konzentration. Denn alles auf Deutsch zu verstehen, vor allem Fachbegriffe, ist nicht einfach. Besonders, wenn der Professor auch noch schnell spricht. „Zum Glück habe ich nette Kommilitonen, die mir helfen, wenn ich nicht mitkomme. Außerdem unterstützt mich eine Tutorin aus einem höheren Semester, indem sie zum Bei­spiel Referate von mir korrigiert“, meint Cheng.

Vergesslichkeit auf Chinesisch

Eingestiegen ist er im dritten Semester Betriebswirtschaft, im März begann für ihn das vierte. Alles in Allem gefällt ihm sein Studium in Ansbach, trotz einiger Schwierigkeiten. Gerade besucht Cheng noch einen Spanisch-Kurs an der Hochschule. Spanisch, Englisch, Deutsch – da vergisst er schon einmal, wie ein Wort in seiner Muttersprache lautet, zum Beispiel, wenn er gerade mit seinen Eltern über Videochat oder Whatsapp kommuniziert. In diesem Fall hilft ein Übersetzungsprogramm, das auf seinem Handy installiert ist. Manchmal wird auch telefoniert – wegen den hohen Kosten ist das aber eher die Ausnahme.

Freunde hat der 21-­Jährige inzwi­schen mehrere gefunden, sowohl unter den deutschen als auch unter den ausländischen Studenten. Für weibliche Bekannte hat er einen ganzen Vorrat an bunten, gemusterten Seidenschals im Schrank: „Die habe ich aus China mitge­nommen, um sie im Laufe der Zeit zu verschenken. Als Andenken.“

Andenken an seine Heimat hat Cheng selbst nicht viele. In seiner kleinen Küche finden sich noch zwei kunstvolle Porzellanschüsseln von seiner Mutter und eine Plas­tiktüte mit roten Blüten, aus denen er sich ab und an Tee macht.

Während er Tee trinkt, malt er gerne. An der Wand hängen mehrere Zeichnungen, die meisten zeigen Tiere, zum Beispiel einen Wolf. Das Malen entspannt ihn und stellt einen Ausgleich zu seinen restlichen Hobbys dar. Denn ansonsten ist er viel mit Kommilitonen unterwegs, zum Beispiel mit Laurentiu, einem Rumänen, der die letzten Jahre in Italien gelebt hatte. Ihn begrüßt er schon einmal lässig mit „Ey, wie geht‘s, Alter?“. Umgangssprachlich zu sprechen, ist ein Spaß, den sich die beiden gerne machen.

O‘zapft is!

Mit seiner Clique geht der junge Chinese gerne aus, spielt Tischten­nis oder Kicker und unternimmt Ausflüge. „Unsere Städtetrips ha­ben uns schon nach Dresden, Heidelberg, Würzburg und Rothenburg geführt. Auch Schloss Neuschwanstein stand bereits auf unserer Liste.“ Die Wiesn haben sie ebenfalls schon besucht – und zwar das Original in München, „keinen chinesischen Abklatsch“.

Wenn Cheng mal nicht im Hör­saal oder unterwegs ist, sitzt er gerne auf einer Bank auf dem Jo­hann-­Sebastian-­Bach­-Platz. „Ich liebe die Architektur in Ansbach. Die Statuen, die Brunnen, die Kir­chen in der Innenstadt. Ich mag es, dass es in Deutschland so viele alte Gebäude gibt. Man kann hier viel Geschichte entdecken.“

Natürlich vermisst er auch sein altes Leben, vor allem seine Eltern, auch wenn er beteuert, wie sehr er die Freiheit gerade genieße. Was er zugibt zu vermissen, ist Rollschuh fahren. In Qingdao gebe es dafür extra Bahnen. Und die Möglich­keit, auch am Sonntag oder zumin- dest spätabends noch einkaufen zu gehen, wie es in China üblich ist.

Wann er sein Heimatland besuchen und seiner Familie die ersten Gastgeschenke aus Deutschland mitbringen wird, ist ungewiss: „So ein Langstreckenflug ist teuer. Meine Eltern unterstützen mich bereits finanziell, hatten extra für mein Auslandsstudium gespart, obwohl sie umgerechnet nur ein paar hundert Euro im Monat zum Leben haben.“ Deshalb möchte sich Cheng bald mit Ferienjobs et­was dazuverdienen. Wohin es ihn später ziehen wird, weiß er noch nicht. „Vielleicht bleibe ich hier, hänge ein Master-Studium an und gehe dann arbeiten“, sagt er. Damit würde er einem Trend folgen, denn immer mehr Chinesen starten nach dem Abschluss eine Karriere hierzulande. Wie auch immer – Chengs Resultat von Deutschland steht fest: „Ich liebe es!“

Banner 2 Topmobile